Am Freitag, 8. November, liest der der Jurist, Philosoph, Autor und Publizist Michel Friedman um 19 Uhr in der Aachener Citykirche aus seinem neuesten Buch “Judenhass” im Gespräch mit der TAZ Journalistin Tania Martini.
„Wo seid Ihr?“ – fragt Michel Friedman uns in seinem neuesten Buch „Judenhass“ – Wo bist du, Nachbar*in von jüdischen Menschen? Wo bist du – Zivilgesellschaft? Wo seid ihr? – ihr Intellektuellen, ihr Künstler*innen, ihr Christ*innen?
Es ist ein Hilfeschrei aus einer tiefen Enttäuschung jüdischer Menschen und jüdischer Gemeinden, die nach dem 7. Oktober auf Kundgebungen der Menschlichkeit gewartet haben. Statt Bekundungen des Mitgefühls gab es Jubel auf deutschen Straßen, Beleidigungen und Angriffe auf jüdische Deutsche, auf Synagogen, es wurden Hauswände mit Davidsternen markiert wie 1933!
Wie ist das zu erklären, dass sich die deutsche Gesellschaft mit den Frauen im Iran; mit der Ukraine öffentlich solidarisierte, aber ausgerechnet bei jüdischen Menschen die Empathie nicht funktionierte? Friedman fragt uns: muss man diese Gleichgültigkeit der Mehrheit nicht als die Konsequenz eines Versagens der deutschen Erinnerungskultur verstehen?
Nach 1945 konnten im Schutze eines allgemeinen Schweigens die nationalsozialistischen Täter, Mitläufer und Mitdenker – über Nacht bekanntlich zu Demokraten geworden! – im Regierungs– und Verwaltungsapparat, in Justiz und Wirtschaft, auf den Universitäten und in den Schulen über Generationen fortwirken. In jeder Familie – „Geschichte ist immer auch Familiengeschichte“ – gab es Mittäter und Mitläufer, aber die Generationen in den Familien schwiegen voreinander. Ein „kommunikatives Gedächtnis“ (Aleida Assmann) konnte sich deshalb zwischen den Generationen nicht ausbilden. Stattdessen gab es ausgenommen das Engagement Einzelner vor allem eine symbolpolitische Erinnerungskultur in der BRD. Wie oft hörte man und hört das „Nie wieder“ und das „Wehret den Anfängen“ – heute ein hohles Versprechen in den Ohren jüdischer Menschen. Heute sind wir wieder soweit, dass unser Staat in Gestalt des Bundesbeauftragten für Antisemitismus unsere jüdischen Staatsbürger*innen auffordert, ihr Jüdischsein möglichst nicht offen zu zeigen. Ein Offenbarungseid – meint Friedman!
Dabei geht es in jedem Angriff auf eine Minderheit immer um jeden Menschen, auch um Dich und mich. Wo ein Mensch angegriffen wird, die Unversehrtheit ihrer/seiner Würde verletzt wird, da wird sie jedem Menschen verletzt. Die Menschenwürde ist unteilbar! Und damit ist Juden-Hass, Muslimen-Hass, Schwarzen-Hass, Schwulen-Hass – zutiefst Menschen(!)-Hass, ein Angriff auf die Grundartikel unserer Verfassung, ein Angriff auf unsere Demokratie.
Um die viel beschworene „Wehrhaftigkeit“ unsere Demokratie ist es schlecht bestellt, wenn die Würde jüdischer Menschen, muslimischer Menschen, farbiger Menschen im Alltag ständig verletzt werden „darf“, ohne dass man sich öffentlich vor die Angegriffenen stellt und ihre Würde verteidigt.
Friedman klagt stellvertretend für alle jüdische Menschen in Deutschland sein Menschen– und Bürgerrecht ein: wir Jüdinnen und Juden wollen nicht wieder zurück in die Zeit vor (!) Aufklärung und Emanzipation, zurück zu lähmenden „Ghetto–Angst–Gefühlen“, wie er sie bei seinen Eltern, Überlebende des Holocaust, erleben musste. Er will, dass seine Söhne und alle jüdischen Kinder wie alle anderen Kinder auch ohne Angst vor Hass, selbstbewusst in der Mitte unserer Gesellschaft aufwachsen können und neben vielen anderen Identitäten auch ihr Jüdischsein selbstverständlich zeigen und leben können.
Mitwirkende: Michel Friedman, Ezra Rosencrantz, Soziologe, Absolvent der RWTH Aachen und die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen RIAS NRW
Johanna Schmidt, Violine
Alfred Krauss, Akkordeon
Konzept: Pfarrerin Sylvia Engels
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, über eine Spende freut sich die Citykirche, deren Kooperationspartnerin bei dieser Veranstaltung die Deutsch-Israelische-Gesellschaft Aachen ist.
Da für diese Veranstaltungen höhere Sicherheitsauflagen gelten, müssen Sie sich für diese Veranstaltung auf der Seite der Citykirche anmelden. Es stehen insgesamt 138 Plätze zur Verfügung. Die Anmeldung ist bis zum 5. November möglich.